Erinnerung an England
Die endlose See
Der Wind einer schäumenden Wüste
reißt an mir
reist mit mir
Siehst du sie fliegen
alle über die graue See
in die lang ersehnte FreiheitIch bin oft hier gewesen
mit kühlem Sand unter den Fingern
Doch dieses Mal ist anders
Es trägt an neue Ufer
Trägt seinen Teil zum neuen Leben
Ein Anfang von vielenDer Strand aus Stein
Da ist ein unbekanntes Licht
bedeckt von schweren Wolken
Eine Sehnsucht, gekommen um zu bleiben
Doch verstehen kann ich sie nicht
Sie scheint schon eine Weile tot
Doch nichts stirbt, ohne gelebt zu habenDie steinernen Begleiter
Durch enge Gassen
unter einem tiefen Himmel
Graue Wegweise
Graue Augen
die mir folgenEin wenig Enttäuschung
Die Freiheit ist so eng
Doch da ist ein Schimmer verborgen
hinter dem Tor, hinter der MauerDer Garten in Stein
Durch das Tor aus Stein
tritt ein mein Freund
Über die Grenze hinweg
Solange sie noch hier ist
Ein Ort aus Leben im Tod aus Stein
doch der Vogel darf nicht fliegen
Traurig blickt er aufs Wasser hinaus
wo seine Artgenossen schwimmenNiemals will ich ihn verlassen
jetzt wo die Schönheit vor mir liegt
Entsteht dadurch Glück in steinernen Ketten?Der Garten aus Licht
Die Freiheit und das Licht
wo alle Bedrängnisse fallen
Dein ganzes Leben hat hierauf gewartet
Doch schau jetzt nicht in die Sonne
Die offensichtlichen Dinge
bemerkst du von allein
Erinnere dich an sie
und tu es nicht zu spätDie Sehnsucht
So einsam in der Schönheit gefangen
Kann dein Herz nicht mit mir reisen?
Fliegen
mit Wind und Möwen übers Meer?
Sich setzen an den Strand aus Stein?
Ich ließ es niemals dort allein.Von Feuervogel
Von Nachtvogel
Von Schaumvogel
Von Sturmvogel
Drei Stufen der Freundschaft
Du siehst sie an
die vielen Menschen
Treibst durch sie hindurch
und durch ihr höfliches Lächeln
Versprechen zum Wiedersehen
flüsternd wie Wind
Sie erinnern sich an ein Gesicht
und vielleicht einen Namen
So sagen sie, dass sie dich kennenDu siehst sie an
die wenigen Menschen
die einmal dein Leben kannten
Erinnerung an die Versprechen
sich niemals zu vergessen
Erinnerungen wie Stofftiere
Erst vermisst, wenn sie fort sind
und selbst dann noch geliebtVertrauen
Von Feuervogel
Von Nachtvogel
Von Schaumvogel
Von Sturmvogel
Vor dem Fall
So wird sie einst vom Himmel fallen
und wie ein Felsen untergehen
So wie der Wind
den Adler zur Erde drückt
Tief hinein in die KälteDann spritzt das Wasser hinauf
zum Licht des ersten Morgens
zerbricht in tausend Buntglasscherben
und nimmt zwei Farben mit hinab
Das Blauschwarz und das klare FarblosIn eben diesem Wasser
wird der Eitle sich dann spiegeln
Bis schließlich die Wellen denken
dass sie das Höchste sind
und fliegen könnten
Doch wie das Eis emporwächst
erhebt sich ein kalter WindDa sieht das stolze Tier
am Horizont im Sonnenstrahl
das letzte Prisma zerspringen
in tausende Blüten, die fallen
auf blauschwarzen Grund
um in farblosen Tiefen
das Herz zu erfrierenUnd der kalte Sturm
drückt den Adler zu Boden
Es gibt keinen Aufwind
ohne die Wärme von innenVon Feuervogel
Von Nachtvogel
Von Schaumvogel
Von Sturmvogel
Stadtblumen
Schatten wie das Blut eines toten Wesens
ergießen sich über die Wege
Jeder hier sucht vergeblich
ein Zeichen echten Lebens
Einsam, als legte jemand Blumen
auf ein GrabGrünes bleibt verborgen in der Dunkelheit
Die Welt verschwimmt, trostlose Tränen
für nichts geweint
Tausende Menschen, unzählige Straßen
ohne Zusammenhalt
Einsam spiegelt sich im schwarzen Teich
die homogene Masse, die doch nichts eintSie alle kamen, um etwas zu finden
Und sie suchen noch immer in den Schatten
zwischen den Mauern, die wissen
dass es nichts zu finden gibt
Einsam stehen sie und sehen, wie die Gasse stirbtSie reden über sinnlose Dinge
Niemand spricht das was er denkt
Worte erscheinen wie Geräusche
vermischen sich, lösen sich auf
Wenn sich das Blut noch tiefer
über die Straßen senkt
stehen wir einsam, wie mit Blumen am Grab
lässt niemand einem Gefühl seinen LaufVon Feuervogel
Von Nachtvogel
Von Schaumvogel
Von Sturmvogel
Wie Fliegen
Alle Charaktere, Schauplätze und Begebenheiten dieser Geschichte sind fiktiv.
Er sitzt immer auf demselben Baum.
Manchmal tut er das wie ein Affe: In hockender Position, mit rundem Rücken, bereit zum Sprung, die Hände lose auf nahen Ästen. An anderen Tagen sitzt er da wie ein kleiner Junge auf dem Umschlag eines Kinderbuchs: Mit den Beinen über der Leere schaukelnd, fast freihändig, den Blick in die Ferne gerichtet … Aber der Baum gehört zu ihm; so wie man sich manche Menschen nicht ohne Bart vorstellen kann; oder ohne Make-up.Die Welt basiert auf Regeln. Aber nicht nur das. Sie ist auch voll davon. Am schlimmsten – das weiß ich inzwischen – sind die Regeln, die niemals jemand aufschreibt. Geschriebene Regeln sind Beweise. Sie sagen dir, dass du alles richtig gemacht hast. Doch wenn das Befolgen ungeschriebener Regeln nicht zum gewünschten Ergebnis führt … Wie kannst du dir sicher sein, dass sie überhaupt existiert haben?
Mir war damals nicht klar, was es bedeuten kann, anders zu sein.
Jeder kennt die Regeln von Mensch-Ärgere-Dich-Nicht: Du würfelst, du ziehst zu deinem Vorteil und wenn du die Wahl hast, tust du es auf eine Art und Weise, dass die anderen nicht dir die Schuld geben; wenn sie am Ende verlieren.
Er kannte die Regeln nicht.In meiner Erinnerung jedenfalls, da sitzt er auf diesem Baum und wirft einen nachdenklichen Blick auf die Landschaft.
Von diesem Platz aus, liegt der Campus der Universität direkt gegenüber auf dem anderen Hügel. Das tut er wirklich und das ist unheimlich praktisch, denn so muss ich an dem Anblick nicht allzu viel verändern; es sieht wirklich genau so aus. Nur der Baum, der ist eigentlich nicht da.Einmal – so etwas kam selten vor – war er dabei, als ich mit einigen anderen über das Universitätsgelände schlenderte. Mittagspause, strahlender Sonnenschein. Da meinte einer, er wolle uns dringend etwas zeigen. Natürlich langweilten wir uns ohnehin alle …
Also gingen wir um einige der Gebäude herum und bestiegen eine Feuertreppe. Die Nicht-Betreten-Schilder waren schon lange abgefallen, aber natürlich wussten wir alle, dass es verboten ist. Auf der Feuertreppe kletterten wir zwei Stockwerke nach oben und standen dann auf einem der Fluchtbalkone. Jedes Stockwerk hat einen, der sich über die ganze Gebäudeseite erstreckt. Wir folgten dem Balkon bis um die nächste Ecke und machten dort vor einem Fenster halt.
Das Fenster war von innen abgeklebt mit einer ehemals durchsichtigen Folie, sodass sich zwischen dem Glas und der Folie ein schmaler Zwischenraum befand. Und dieser Raum war angefüllt mit toten Fliegen, eine über der anderen, wie ein absurdes Mosaik; die Flügel zerbrochen und angestaubt.
Wir sind ja eine zivilisierte Gesellschaft. Ich glaube, das bedeutet wir sind wie ein gut eingespielter Chor. Jemand schlägt die ersten Takte an und wir singen alle dasselbe Stück, ohne uns vorher abzusprechen. So standen wir also dort auf dem Balkon und zelebrierten unseren Ekel; um aus ein paar toten Tieren ein Erlebnis zu machen, das den Zusammenhalt unserer Gruppe stärken würde. Nur er lehnte da am Geländer – den Fliegen zugewandt – und sprach nachdenklich ins Leere:
Ob die Universität nicht wäre wie ein künstlicher Wald, den man erst in klaren, sauberen Reihen pflanzt und dann verwildern lässt. Ob es nicht im ganzen Studium der Fall sei, dass es zwar geschriebene Regeln gäbe, dass aber jeder – wenn er nur genug Einfluss hat – sie nach seinem Belieben verbiegen könne, bis sie kaum noch jemand verstünde?
Nur er konnte solche Dinge sagen und nur er sagte solche Dinge in dermaßen unpassenden Momenten und auf eine Art, dass man davon mitten am Tag eine Gänsehaut bekam.
Nun war es so, dass ihm ohnehin niemand zugehört hatte. Und hätte ich es ebenso gehalten, wäre vermutlich gar nichts passiert. Stattdessen aber antwortete ich. „Ich weiß nicht. Mir scheint, du weißt sehr genau, wie du zurechtkommst“.
Danach schien er ab und an zu denken, ich würde ihn ernst nehmen.Ich glaube, es ist in Brasilien, da holzen sie den Urwald ab.
In meiner – vielleicht ein wenig falschen – Erinnerung sitzt er also auf diesem Baum und sieht, wie sie dasselbe auch hier tun. Er starrt zur Universität hinüber. Dort reißen sie Bäume aus und betonieren Rasenflächen, damit sie ein neues Gebäude bauen können. Sie stellen die Betonklötze einen neben den anderen. Ein in säuberlichen Reihen gepflanzter, künstlicher Wald.
Er sieht noch mehr. Dinge, die er von da oben gar nicht sehen kann; aber er weiß ja, dass sie da sind. Er sieht Fenster, die von innen mit Pappe verschlossen sind, um den Raum dahinter dunkel zu halten. Ein Pilz, der sich langsam vorwärts frisst. Er sieht die toten Fliegen. Das Abendessen eines Aasfressers. Erst eingefangen, dann vergessen. Von seinem Baum aus sieht er den Efeu, der sich langsam von der Rückseite am Hauptgebäude hinaufarbeitet. Ganz langsam drückt er Löcher ins Dach und lässt die Fäulnis herein. An anderen Stellen bröckelt der Beton. Die gleichen Blöcke, die sie woanders gerade einpflanzen. Nur älter.
Wenn schließlich am Abend endlich die Sonne untergeht … Dann sitzt er immer noch auf seinem Baum und begegnet dem gelben Blick des Untiers mit den hundert Augen, das auf dem anderen Hügel lauert. Dieses Wesen, mit dem hat er sich arrangiert.Heute glaube ich, besser zu verstehen, wie er die Welt gesehen hat; doch ich stimme ihm nur teilweise zu. Die Strukturen um uns herum mögen verwirrend sein; aber am Ende verbirgt sich dahinter noch immer der säuberlich gepflanzte Wald. Eine Monokultur verwildert nicht von heute auf morgen. Das eigentliche Problem sind die Menschen innerhalb dieser Strukturen. Sie beugen nicht nur vorhandene Regeln; sie erschaffen ihr ganz eigenes Chaos, in dem wir alle leben müssen und es können darin nur solche Wesen existieren, die all die ungeschriebenen Gesetze kennen. Wer sie nicht kennt, der wird gefressen. Nicht von dem Untier; von den Fliegen.
Es war an diesem einen Abend. Da saß ich mit einigen anderen noch sehr spät vor den Gebäuden zusammen und wir sprachen über so manches … Und die meisten hatten auch getrunken.
An diesem Abend sagte ich zu einer Freundin – aber er saß auch dabei – die Professoren sollten uns lieber den echten Himmel erklären; anstatt über abstrakte Gesetze zu debattieren, die ohnehin nur in der Vorstellung von Wissenschaftlern wirklich relevant seien. Da mischte er sich von der Seite ein – ich gestehe, ich weiß seinen Namen nicht – und meinte, ich solle ihn einfach einmal begleiten. Er kenne da einen tollen Ort, dort könne er mir alles erklären.In meiner verzerrten Erinnerung sitzt er dort auf dem Baum. Natürlich sollte es eine Aussichtsplattform sein; aber der Baum passt viel besser zu ihm.
Jedenfalls sitzt er da und spricht in die Leere, dass er auf mich gewartet hätte. Und wieder antworte ich und sage: „Ich weiß“. Manchmal. Ein andermal sage ich das Gegenteil: „Das wusste ich nicht“ und dann wieder: „Das freut mich“, obwohl ich mir da nicht sicher bin.An diesem einen Abend also, da meinte er – einfach so – ich solle ihn mal begleiten. Und ich weiß noch genau meine Antwort: „Diese Woche ist bei mir schon ziemlich voll“. Aber das machte ihm nichts; er sei ja ohnehin jeden Sonntag dort. Ich solle einfach irgendwann mal vorbeikommen. „Ja“, sagte ich darauf. „Ich komm mal vorbei“.
Jedenfalls gibt es da dieses Detail, das mich immer wieder stört. Denn in meiner Erinnerung sitzt er auf seinem Baum und sieht zu dem Untier auf dem anderen Hügel hinüber. Doch wann immer er tatsächlich auf diesem Baum sitzt, sind die Fenster der Universität selbstverständlich dunkel und man kann die Gebäude nicht sehen.